Hans-Joachim Staude.

Ein Leben für Florenz

Von Angela Terzani Staude

1904-22: Von Haiti nach Hamburg. Jugend

Hans-Joachim Staude wurde 1904 in Port-au-Prince auf Haïti geboren, in einer kolonialen Welt von exotischer Schönheit, wie sie Pierre Loti in seinen Romanen beschreibt. Sein Vater, Hans-Carl, war der Sohn einer alten deutschen Akademikerfamilie aus Halle, den die romantische Sehnsucht nach den Tropen zur Insel hingezogen hatte. Er lebte dort als Geschäftsmann. Seine Mutter, Elsa Tippenhauer, war das Kind der Ehe eines hamburger Kaufmanns mit einer Französin der Insel und selber aus Port-au-Prince gebürtig.

Hans-Jo, wie er genannt wurde, verbrachte seine Kindheit in Haiti. Der Vater machte seine Geschäfte auf den Antillen, die Mutter las oder spielte mit den kreolischen Damen der Hauptstadt Klavier. Die starken Farben von Blumen und Früchten, das französische Geplauder seiner Tanten und der Blick auf ferne, mit dunklem Dschungel bedeckte Berge aus denen das geheimnisvolle Schlagen der Voudou-Trommeln drang, prägten sich für immer in sein Gedächtnis ein.

1909, als Hans-Jo fünf Jahre alt war, zog die Mutter mit ihm und mit seinem älteren Bruder nach Hamburg, um sie dort zu erziehen. Es waren die letzten Jahre des wilhelminischen Kaiserreichs und es umwehte sie der biedere Geist der Gründerjahre. Im Schatten keimten aber schon die Gedanken, welche die Welt verändern würden: Nietzsches Philosophie, Freuds Psychoanalyse, Strindbergs Theater, Schönbergs Musik, und die Malerei des jungen deutschen Expressionismus.
Die Familie erwarb ein Haus in der Körnerstraße bei der Alster und lebte dort ihr bürgerliches Leben. Elsa aber, die selbst in Hamburg erzogen worden war und deshalb von ihren Geschwistern in Haïti „la petite allemande“ genannt wurde, begann die ersten „verbotenen“ Bücher zu lesen und sich den Kreisen der intellektuellen und künstlerischen Avantgarde anzuschließen. Bald war sie eng mit Rosa Schapire befreundet.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als es dem Vater unmöglich wurde, Haiti zu verlassen um den Sommer mit seiner Familie in Deutschland zu verbringen, wuchs Staude ganz unter dem Einfluss dieser sich leidenschaftlich für Kultur interessierenden Mutter auf. Mit dreizehn Jahren schreibt er auf die erste Seite eines Heftes, das „Philosophischem“ gewidmet war, ansonsten aber leer blieb, den Text, mit dem er die Verpflichtung seines Lebens eingeht: „Jeder Mensch muss von der Welt eine Auffassung haben: Jedenfalls jeder, der ein bisschen anfängt zu denken! Meine Auffassung der Welt ist folgende […]: Soviel, wie mir möglich, will ich am gewaltigen Bau, den der Geist früherer Zeiten aufgerichtet hat und jetziger aufrichtet, mithelfen arbeiten; und zufrieden fortgehen kann ich erst, wenn ich beim Zurückschauen auf mein Leben mit ehrlichem Gewissen sagen kann: ,Du hast Deinen Geist ganz in den Dienst der mächtigen Arbeit gestellt’“ (1917).
Ein Jahr später sieht er die erste große Edvard-Munch-Ausstellung in Hamburg und beginnt zu zeichnen. Gefesselt vom deutschen Expressionismus, der durch seine Darstellung des „Universums des Inneren“ der Malerei vollkommen neue Perspektiven auftut, schließt Staude sich dem Kreis um Schmidt-Rottluff an, der aus der expressionistischen Bewegung ‚Die Brücke‘ hervorgegangen war, und beteiligt sich an jenem, Aufbruch zu neuen Ufern‘, der Deutschland nach dem verlorenen Krieg erfasst.
Für den jungen Staude sind dieses „die Zeiten der mystischen Abendunterhaltungen in Bellevue“, einem Stadtteil an der Alster, bei denen er sich zusammen mit Freunden wie Fritz Rougemont, Heino Elkan, Adolf Schneider, Kostek Gutschow und seinem Vetter Olaf Oloffson verpflichtet, sein Leben ganz für die Erneuerung von Kunst und Kultur einzusetzen. Mit seinem Mitschüler Karl Bröcker gibt er eine kleine Zeitschrift heraus, ‚Die Werdenden‘, in der sie ihre expressionistischen Holzschnitte und Gedichte abdrucken.
In der Schule vertieft er sich indessen in die deutschen Klassiker. In seinem Aufsatz für das Abitur setzt er sich für Friedrich Hölderlin ein, einen der großen Deutschen, dessen Dichtung damals noch nicht zum Lehrpensum gehörte. Über Hölderlins im Wahnsinn endendes Leben nachdenkend schreibt Staude: „An ihm vollzieht sich mit schrecklicher Konsequenz die Tragödie des Künstlers: des Künstlers, wie er von unserer Kultur seit der Renaissance gesehen wird, d.h., seitdem er seine soziologische Bedeutung verloren zu haben scheint […]. Seitdem haben wir uns daran gewöhnt, in den großen Künstlern auch die großen Leid Tragenden zu sehen.“ Klavier spielt er so gut, dass allgemein angenommen wird, er werde Pianist.

Aber 1920 beschließt er, sechzehnjährig, Maler zu werden. In den darauf folgenden zwei Jahren führen ihn Reisen vor die großen Kunstwerke der Vergangenheit; Ausflüge in die Elbländer und ins Hochgebirge stellen ihn vor die Natur, deren Macht und Bedeutsamkeit ihn so tief betrifft, dass er sich 1921 im österreichischen Gebirgstal Praxmar gelobt: „Solange ich einen Baum sehen werde, werde ich malen“.
Langsam wendet er sich nun vom Expressionismus ab. „Bis zum Expressionismus hat alle gute Malerei in diesem Sinne geschaffen: Das Malen nach, oder das Wiedergeben von der Natur war dem Künstler Aufgabe […]“, schreibt er an Adolf Schneider. „Ruysdael und Caspar David Friedrich und Manet malten die Welt aufrichtig so wie sie war, besser: wie sie sie sahen, aufrichtig sahen. Der Expressionismus vergewaltigt die Naturform zugunsten einer, wie man sagt, seelisch geschauten, legt von vornherein das Hauptgewicht auf das, was unbewusst sein sollte, prahlt mit Gefühlen“.
1922 kehrt Staude dem Expressionismus endgültig den Rücken und widmet sich ganz der Beobachtung der Natur. „Nach der Natur zeichnen ist mir jetzt alles“, schreibt er an den Freund Kostek Gutschow.

1923: München. Die Suche nach den Lehrern

Der Drang, den ganzen Tag nur zu malen, „endlich ein Arbeiter sein zu dürfen!“, bestimmt jetzt alle seine Entscheidungen. Er verfolgt dabei seine „Visionen“ und hält sich an das, was er „meine Richtung“ nennt. Es zieht ihn „in den Süden, wo die Kunst gedeiht“. Die erste Etappe ist München, an dessen Akademie er beabsichtigt, mit Hugo Ernst Schnegg, einem Exponenten des späten deutschen Impressionismus, zu arbeiten. In München wird ihn auch Fritz Rougemont erwarten, „der verstehende Freund“, mit dem ihn das Gefühl verbindet, „einer gleichen Zeit und einem gemeinsamen Willen“ anzugehören.
Doch wird München zu einer Enttäuschung. Schnegg ist nicht da, Rougemont ist nach Italien gefahren, und die Ankunft in der Stadt zwingt Staude zu einem plötzlichen Stillstand: „Ich soll zu mir selber kommen“, schreibt er in das Tagebuch, in dem er seine Verwirrung vor den Ausmaßen der Lebensaufgabe, die er sich gestellt hat, unerbittlich registriert. „Ich kämpfe in dieser Zeit einen schweren Kampf aus. […]. Es ist der Kampf um die neue Generation. Um das neue Deutschland und um mich selbst“. Von seiner Einsamkeit schreibt er: „Ich liebe sie nun endgültig“. Und von der Malerei: „Das Ziel sehe ich; aber den Weg – ja, wer den kennte!“

1923-24: Noch einmal Haiti. Das Licht

Im Herbst 1923 schifft sich Staude nach Haiti ein, der „Insel, wo sich die ersten Bilder meiner Vorstellung eingeprägt haben“. Er besucht dort seinen Vater und bleibt sechs Monate bei ihm.
Die Insel war von großer Besonderheit. Mit ihrer üppigen Vegetation, den Resten einer jahrhundertelangen französischen Kolonialherrschaft und den Resten des Imperiums eines ersten schwarzen Kaisers, der mächtige Burgen und Schlösser hinterlassen hatte, galt sie damals als die schönste Kolonie der westlichen Hemisphäre. Zu diesem Zauber kam für Staude die langjährige Verwicklung seiner Familie in die haitianischen Geschicke. Seine Mutter war die Nachkommin eines Onkels von Napoleons Polizeiminister, Joseph Fouché, der Anfang des 19. Jahrhunderts als Architekt nach Haiti geflohen war. Ein Bruder von ihr hatte den Hafen von Port-au-Prince gebaut, eine Schwester das legendäre Oloffson Hotel gegründet.
„Hier ist Sonne, Wärme, leuchtendes Licht!“ schreibt Staude beim Wiedersehen mit der Landschaft seiner Kindheit. Was ihn bezaubert und von seinen Gespenstern befreit, ist das Leben selbst, in seinen starken Farben und schönen Bewegungen. Auf dem Rücken seines Pferdes galoppiert er durch die exotische Landschaft und gibt sich ihr ganz hin. „Wer ahnt etwas von Sinnen, der nicht im Süden war!“ schreibt er an Heino Elkan. In den tropischen Nächten sitzt er „mit der kleinen Krawatte auf der beleuchteten Galerie“ und nimmt an Festen und Bällen teil. Er entdeckt dabei sein Talent zum gesellschaftlichen Leben. Warum auch nicht?, scheint er sich zu fragen. Im Laufe weniger Monate biegt sich seine Handschrift mit neuem Elan.
Aber auch in Haiti fehlen die mystischen Augenblicke nicht. Das Jahresende verbringt er auf den kargen Bergen von Furcy, allein mit den Schwarzen und ihrem Voudou. „Wenn die Seele einen Geburtsort hätte, wäre meiner hier“, schreibt er seiner Mutter. Manchmal ergreift ihn im hellen Sonnenlicht die Sehnsucht nach den „gotischen Kathedralen“, dem „frommen Halbdunkel der Frauenkirche“ in München. Er denkt an Deutschland, an seine Freunde, die unterbrochene Arbeit. Er denkt an Hamburg, „die schöne graue Alsterstadt“. Auf keiner Reise, schreibt er, habe er so intensiv an zu Hause gedacht, wie auf dieser. Dass er zutiefst Europäer ist, und nicht zu jenen gehört, die sich in den Tropen verirren, steht außer Frage.

1924-25: Hamburg

Im Frühjahr 1924 kehrt Staude nach Hamburg zurück. Das Schiff legt in Genua an. Zum ersten Mal setzt er seinen Fuß auf italienischen Boden, doch will er sich nicht aufhalten, will das Land nicht sehen.
Stattdessen verbringt er den Sommer in Finkenwerder, in der düsteren, nördlichen Landschaft, die Paula Modersohn-Becker und ihre Worpsweder Gruppe malten. Hier begegnet er endlich dem Maler Hugo Ernst Schnegg und wird sein Schüler. „Schnegg – Bayer, 48 Jahre alt – malt mit Blut und Pinsel. Durch ihn lerne ich, was beim Malen lernbar ist. Das ist ein sehr großer Haufen“.
Den Winter verbringt er in Hamburg, unter Menschen, die alle eine Zukunft haben, in avantgardistisch gesinnten Häusern, in den lebendigsten Kreisen der Stadt. Er verkehrt bei Sudecks, „in den verwunschenen Gärten von Fonteney“, bei Warburgs auf dem Kösterberg, wo er bei einem Kostümfest Renate Moenckeberg kennen lernt, ein Mädchen aus einer der gebildetsten und einflussreichsten Familien der Stadt. Später wird sie seine Frau werden.

Mit seiner Malerei ist er unzufrieden. Im Frühling 1925 unternimmt er mit Schnegg und einer Gruppe junger Maler seine erste Reise nach Italien.

1925-28: Italien. Die gefundene Landschaft

Staudes junge Jahre waren von einer tiefen Unruhe gekennzeichnet, die ihn in „einer dauernden Wanderbewegung“ hielt. Der junge Maler war auf der Suche nach einer Landschaft in der er sich wieder erkennen könne, nach „der Landschaft die ich in mir trage“, wie er schrieb. Er hatte „Visionen von Bildern“, wusste sie aber nicht in Malerei umzusetzen. Er musste das Bild außerhalb seiner selbst suchen, in der Welt, in der Natur. Und er musste für das Bild eine Form finden, wohl wissend, „dass die Natur uns auch die Form geben wird.“
Wo aber befand sich diese Natur, wo befand sich die Landschaft, welche die Formen seiner Visionen hatte?
Er reiste, schaute. Schaute sich die großen Meister, schaute sich die Welt an. Dabei vermied er Italien lange. Die Sehnsucht nach Italien ist in jedem Deutschen, der Goethe gelesen hat, vorhanden. Jeden Maler hat es seit eh und je dorthin gezogen und es schien Staude zu sehr auf der Hand zu liegen, dass auch er dorthin wolle.
Aber während einer Italienreise zusammen mit seinem Lehrer Schnee und einigen Mitschülern befindet sich Staude sehr bald vor der gesuchten Landschaft. In Taormina fühlt er sich in wachsendem Gegensatz zum „schlechten Impressionismus“ seines Lehrers. Er beginnt sein Motiv in Licht- und Schattenmassen zu ordnen, „damit die Anatomie des Bildes deutlich werde“. In Arezzo erkennt er in den Fresken von Piero della Francesca die Malerei in ihrem höchsten Ausdruck von Ordnung, Solidität und Farbeneinheit. Er sieht darin eine vom Maler streng geordnete Wirklichkeit, und seine eigenen malerischen Absichten beginnen sich ihm zu klären. In Florenz fasst er den Entschluss, sich von der Gruppe junger Maler zu trennen und dort zu bleiben: Die Landschaft mit der gesuchten inneren Ordnung ist im weitesten Sinne gefunden.
„Florenz. Zunächst sind es die Menschen“, schreibt er Heino Elkan. „Dazu das Land!“, und Kostek Gutschow: „Ein Hügelwogen, aber gebaut, geformt.“. In der Toskana beleuchtet die Sonne Menschen und Dinge mit unerbittlicher Schärfe und ermächtigt den Künstler zu einem Studium der Wirklichkeit, das im nebligen Norden einfach nicht durchführbar ist. Auch ist es kein Zufall, wenn Staude in der Toskana nicht nur die ersehnte Landschaft, sondern auch die großen Maler findet: Giotto, Masaccio, Piero della Francesca. Denn Kunst und Landschaft sind eng miteinander verbunden. Jetzt wird auch das Bild seine Form annehmen.
Während seines ersten florentinischen Aufenthalts führte Staude ein schlichtes Leben, in gemieteten Zimmern (das erste lag in der Via Guicciardini) oder im Atelier mit seinen Modellen. Paul und Maja Winteler (sie war die Schwester Albert Einsteins), die in der klassischen toskanischen ,campagna‘ in einem Bauernhaus bei Sesto Fiorentino lebten – einer Oase, die sie „Samos“ nannten -, wurden bald zu seiner neuen Familie. Der erste italienische Maler, den er kennen lernte und mit dem er sich gut verstand, war Giovanni Colacicchi, der soeben von Anagni, südlich von Rom, nach Florenz übergesiedelt war.
„Ich befinde mich auf einem herrlichen Arbeitswege. […] Noch weiß ich nicht, wie man hier fort wollen kann“, schrieb er 1925 an Gutschow.

Obwohl Staude keineswegs auf die Absicht verzichtet hatte, zur Erneuerung der Kunst seiner Zeit beizutragen, („Wir müssen mehr sein als Arabesken am Rande. Räder im Getriebe! Oh wenn das wieder einmal sein könnte!“, schrieb er 1927 an Adolf Schneider), sprach er jetzt nicht mehr von Arbeit „für das neue Deutschland“. Er fühlte sich im Gegenteil immer mehr als Europäer und empfand eine Verantwortung der Kunst ganz Europas gegenüber, nicht nur der eines besonderen Volkes oder Landes.
Angesichts der italienischen Kunst legte Staude in der Zeit von 1926 bis 1928 die Grundsteine seiner eigenen künstlerischen Überzeugung und klärte ein für allemal die Richtlinien seiner eigenen Arbeit. Seine Hefte und Briefe aus jenen Jahren zeugen von diesem geistigen Prozess, auf den er nie wieder zurückkommen würde.
Sein Staunen vor dem gewählten Land ließ mit dem Vergehen der Jahre nicht nach. „Die Zahl der so genannten ,einfachen Leute‘, die Dinge sagen und ,Formen‘ haben, die den unsrigen überlegen sind, wird meiner Erfahrung nach nur größer“, schrieb er im Alter an die Malerin Odi Kasper. „Jene seltsame Sorte Geistigkeit, die sich in dieser Landschaft niederschlägt, taucht hier und da auch in einem Gespräch, einer Geste auf.“
Gegen Mitte des Jahres 1928, nach einem von allzu intensiver Arbeit verursachten schweren Nervenzusammenbruch, kam Staude jedoch der Zweifel, ob es zu einfach sei, sich in Florenz niederlassen zu wollen, und mit einem Entschluss, der all seinen Instinkten zuwider ging, verließ er die geliebte Stadt und kehrte nach Hamburg zurück.

1928: Zwischenspiel in Hamburg

In Hamburg taucht Staude wieder in den alten, lebhaften Freundeskreis ein, in dessen Mittelpunkt jetzt Erwin Panofsky, Ernst Cassirer und Aby Warburg, der Gründer des Warburg Instituts für Kunstgeschichte (in dem Rougemont als Stipendiat arbeitete), stehen. Er malt, hat Erfolg, verkauft seine Bilder gut, doch erinnert Renate sich später seiner als von Unruhe und Nervosität getrieben. In Hamburg quält ihn der Gedanke, er habe mit seiner Abreise aus Florenz einen schweren Fehler begangen.
Dazu kam, dass in Deutschland gegen Ende der zwanziger Jahre die großen Hoffnungen der Nachkriegszeit allmählich erloschen. Auch begannen sich zwischen ihm und Fritz Rougemont, dem „verstehenden Freund“, wesentliche Differenzen abzuzeichnen – Rougemont, der sich bald zu einem glühenden Nazi entwickeln würden.
Der Börsenkrach von 1929 stürzt seinen Vater in den Bankrott. Staude betrifft das zunächst nicht. Mit dem Geld, das er sich durch den Verkauf seiner Bilder in Hamburg verdient hat, reist er Ende des Jahres nach Paris, wo er sich die damals gerade bekannt werdenden französischen Impressionisten anschauen will.

1929: Paris. Neue Lehrer

Im Atelier ,La Grande Chaumière‘, wo er malt, begegnet Staude dem österreichischen Bildhauer Ludwig Kasper, dem er bereits1923 in München flüchtig begegnet war.
Kasper (1893 – 1945), bäuerlichen Ursprungs, ist unwirsch und wortkarg. Doch bemerkt Staude während ihrer gemeinsamen Besichtigungen des Jeu de Paume, wo die Bilder der französischen Impressionisten zu sehen sind, dass dieser Anhänger des Bildhauers Adolf Hildebrand und des Malers Hans von Marées etwas Wesentliches verstanden hat, und er zwingt ihn, zuweilen fast mit Gewalt, ihm dieses zu vermitteln. Bei dieser für Staude so entscheidenden Gelegenheit entstehen zwei Werke, von denen uns leider nur diese Fotografien über die Kriegsjahre hinweg erreicht haben:

Vor den Bildern Cézannes und seiner französischen Zeitgenossen erklärt Kasper ihm nun den „Begriff der Form“, einen Begriff, der die große Kunst aller Zeiten und Kulturen kennzeichnet, und der Staude zur Klärung seiner eigenen künstlerischen Absichten verhilft. „Niemand hat wie Cézanne ,Bäume‘, ,Häuser‘, ,Gesichter‘ etc. überwunden und daraus Elemente der Gestaltung eines Bildes gemacht“, schrieb er viele Jahre später an seinen Freund Herbert Schmidt-Colinet. „Er ist unser aller Muttermilch“.
Die Aufgliederung des ,Motivs‘ in seine Elemente – Raum, Körper, Licht und Schatten – und die Komposition des Bildes aufgrund farblicher und formaler Werte, die allein vom „Gesetz des Bildes“ bestimmt werden: dieses ist die cézannesche Forderung, die auch der Malerei Staudes zugrunde liegt. Die Realität der Gegenwart durch das ewig gültige Sieb der großen Formen sehen, ist das, was Paris ihn gelehrt und Ludwig Kasper ihm vermittelt hat.
Bei seinem Pariser Aufenthalt erkennt Staude also in Cézanne, Degas und Manet seine unmittelbaren Lehrer und Vorgänger. Mit ihnen beginnt er einen Dialog, mit ihnen vergleicht er sich, und dieses Gespräch mit den Franzosen wird sich durch die Jahre hindurch ziehen, bis zu einem der letzten Tage seines Lebens, als seine Augen vor einem Aquarell Manets plötzlich aufleuchten: „Meisterhaft – und so zeitgemäß!“
Im „Zeitgemäßen“, in diesem „ein Kind seiner Zeit sein“ eben lag für Staude einer der höchsten Werte jeglichen künstlerischen Ausdrucks, und Paris, die Stadt in der die moderne Kunst und Literatur geboren waren, ist deshalb stets ein Pol seiner Sehnsüchte geblieben. Der „Weg“ war also gefunden, doch die Unruhe blieb.

1929-40: Florenz. Das Bild

Während eines kurzen Aufenthalts in Mont-de-Marsan in der Provence, wo Staude sich bei einer französischen Cousine erholt, fällt nun sein Blick aus dem Fenster auf einen Feigenbaum. Vor der Erscheinung dieses Baumes, der ihm wie die Erscheinung Italiens selbst vorkommt, versteht er nun, wo sein Fehler lag. Sofort packt er seinen Koffer und setzt sich in den Zug nach Florenz, wo er am Pfingstsonntag ankommt. Unter dem Feigenbaum von Wintelers sitzend, schreibt er an Heino Elkan, inmitten der wahrsten toskanischen Landschaft. Dies ist seine Landschaft, „die Landschaft, die ich in mir trage“, und er will sie sich nicht wieder versagen.
Von Deutschland spricht er im nächsten Jahrzehnt seltener. Die alten Jugendfreunde gehen ihrer eigenen Wege. Doch besteht kein Zweifel, dass Staudes Wesen tief in der Tradition des deutschen Idealismus und der deutschen Romantik verankert ist. In jenem Geiste lässt er sich nun in Florenz endgültig nieder, und macht sich an die eigene Arbeit.
Nach Paris, und nach Ludwig Kaspers Lektion, wurde Florenz zu Staudes Prüfstein. Er hatte verstanden, aus welchem Stoff ein gutes Bild gemacht ist. Jetzt blieb ihm, das zu beweisen. Hatte er bei seinem ersten florentiner Aufenthalt seine Landschaft gefunden, so würde er während des zweiten sein Bild malen. Dazu waren noch Jahre harter Arbeit nötig.
Zunächst schlägt er in der Stadt Wurzeln. Einige Monate wohnt er in der Villa Romana, dem Haus für deutsche Künstler in Florenz, dem er auch infolge seiner künstlerischen Verbundenheit mit dem neuen Direktor Hans Purrmann verbunden bleibt.
1930 findet er sein endgültiges Zuhause in der Via delle Campora. Die Fenster der großen Cinquecento-Villa, die für eine Nichte Machiavellis gebaut worden war, öffnen sich weit auf die toskanische Landschaft. Unter den Bauern, die auf den Feldern arbeiten, sucht er sich seine Modelle; von ihnen lernt er abends italienische „stornelli“ singen, zu denen er sich auf der Gitarre begleitet. „Ich will glauben, dass dieses der Port ist, in dem ich nach vielem Schwärmen eingelaufen bin. Mein ‚Port-au-Prince’“, schreibt er an Heino Elkan.

Durch einen der glücklichen Zufälle die sein Leben begleitet haben, findet Staude auch ein Atelier zu Füßen des Hügels von Bellosguardo, im ehemaligen Kloster San Francesco di Paola. Es gehört Liesel Brewster, einer Tochter des Bildhauers Adolf Hildebrand, der hier mit Hans von Marées zusammen gewohnt und gearbeitet hatte: Mit beiden Künstlern verbinden Staude die von Ludwig Kasper gesponnenen Fäden.
„Sehen lernen ist alles“, hatte Hans von Marées gesagt und Staude bemühte sich sein Leben lang eben darum , „nur dass es so lange dauert, bis die Augen wirklich zu sehen lernen!“. 1931 bestärkt ihn eine Reise nach Spanien zum Studium von Velazquez in seinen malerischen Überzeugungen.
Aus dem Bedürfnis heraus, Akt zu zeichnen, besucht Staude von 1934 bis 1937 die Akademie in Florenz. Der Kurs wird von Felice Carena geleitet, der zusammen mit den Malern Giovanni Colacicchi, Emanuele Cavalli, Giorgio Settala, Filippo De Pisis, Toni Stadler, Friedrich Kriegbaum – dem Kunsthistoriker und späteren Direktor des Deutschen Kunsthistorischen Instituts in Florenz – und vielen anderen bald zu seinen guten Freunden zählt.

Die Nachrichten, die ihn Anfang der dreißiger Jahre von zuhause erreichten, waren beunruhigend. Hitler war an die Macht gekommen. Heino Elkan wurde verfolgt und musste emigrieren. Die Freundschaft mit seinem Jugendfreund Fritz Rougemont, der ein glühender Nazi geworden war, endete. Sein Vater starb und seine Mutter zog zu ihm nach Florenz. Staude erlitt einen zweiten Nervenzusammenbruch und seitdem wurde die Schlaflosigkeit zu einer ständigen Gefährtin seiner Nächte.
Über Kunst sprach er immer weniger. Er malte. „Der Malende sollte nie von Kunst reden, vor allem aber keine machen wollen. Wir müssen Natur machen wollen. Und auch weil wir nicht Gott selber sind, wird Kunst daraus“, hatte er 1923 in sein Münchner Tagebuch geschrieben. Seine Gedanken über die Kunst und die Probleme der Malerei notierte er aber weiter in den kleinen Zeichenblocks, die er stets mit sich in der Tasche trug, wie auch in Briefen an die unterschiedlichsten Menschen.

Die Musik, von der er in München geschrieben hatte, „sie hat mit meinen Visionen nichts zu tun: meine Art zu träumen“, behielt aber einen wichtigen Platz in seinem Leben. Kein Abend verging, ohne dass er sich ans Klavier setzte. Vor Ausbruch des Krieges nahm er Kompositionsunterricht bei Mario Castelnuovo-Tedesco und in den Nachkriegsjahren vertonte er Sonette von Dante, Michelangelo und Lorenzo il Magnifico, Gedichte von Hölderlin und Leopardi. Immer neue Freundschaften verbanden ihn mit Sängern und Musikern; zuletzt nahm er ein altes Gespräch mit dem Dodekaphoniker Luigi Dallapiccola wieder auf. Wie der florentiner Geiger Vittorio de Santis in seinen Erinnerungen an ihn schrieb, ließ Staude in der Musik „seiner verfeinerten und klugen, humanen und geheimnisvollen Romantik“ freien Lauf, jenem von ihm selbst erkannten „Hang zur Lyrik“, dem er in der Malerei bei seiner Begegnung mit Florenz Einhalt geboten hatte.
Der neue „verstehende Freund“ wurde Christopher Norris, ein junger englischer Kunstkenner von außergewöhnlicher Begabung, den er 1931 im Prado vor einem Velazquez kennen gelernt hatte. Es entstand zwischen den beiden eine lebenslange Freundschaft, die jedoch nie zu jener produktiven Künstlergemeinschaft, jener Bewegung zur Erneuerung der Kunst führte, auf die Staude seine Hoffnung gesetzt hatte. Menschen begegnete er vielen, doch im Grunde blieb er allein.
Im Jahr 1938 heiratet er. Renate Moenckeberg, die im Winter 1923 in Hamburg kennen gelernte Freundin, war inzwischen als Architektin in Schweden tätig gewesen und hatte ihn Sommer für Sommer in Italien besucht. Mit tiefem Verständnis für seine Hingebung an die Malerei arbeitete sie in Florenz als Architektin weiter und blieb bis zum Ende an seiner Seite.

Im selben Jahr eröffnet Staude, dreiunddreißigjährig, seine erste große Ausstellung in Florenz. Ein Erfolg. 1939 wird seine Tochter Angela geboren, und die Freude eine Familie zu haben ist groß. Die Familie gibt ihm Sicherheit und Halt, sie mildert die ewige Einsamkeit des Künstlers. So gewinnt sein Leben jetzt jenen Anstrich von „Normalität“, nach der er sich gesehnt hatte wie ein Tonio Kröger.
Auch ‘das Bild‘ tritt nun zutage (einige seiner stärksten Portraits stammen aus diesen Jahren), das Bild, wie es ihm vorschwebte und wie er es in immer freieren und reineren Formen bis zuletzt herausdestilliert hat. Eine Ausstellung 1940 in Florenz, und eine 1942 in Rom werden wiederum zu Erfolgen.

1940-45: Italien im Krieg

Trotz des Faschismus erlebte Florenz in den dreißiger Jahren die schönste Epoche dieses Jahrhunderts. Stadt und Landschaft standen auf dem Höhepunkt ihres Glanzes und bildeten den Rahmen zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Leben, das erst der Krieg davongefegt hat.
Die gastlichen Häuser von Bernard Berenson oder Charles und Olga Löser, die der Anreps, Gronaus oder Sattlers, die Villen der Brewsters, Franchettis oder Passiglis, die Paläste der Aristokratie und Bourgeoisie der Stadt empfingen Gelehrte und Künstler aus ganz Europa, von denen man sprach oder noch sprechen würde. Mit seinem Charme und seinem Talent zum gesellschaftlichen Leben nahm Hans-Jo, von den Florentinern mittlerweile „Anzio“ genannt, an diesem faszinierenden Treiben teil. Marie José, Kronprinzessin und für kurze Zeit Königin von Italien, wurde 1941 seine Deutsch-Schülerin, dann auch Freundin und Gönnerin.
Er vekehrte im Deutschen Kunsthistorischen Institut, das unter der ruhmvollen Leitung seines Freundes Friedrich Kriegbaum stand. Zu den Stipendiaten wie Werner Haftmann, Wolfgang Lotz, Ludwig Heydenreich und Herbert Siebenhühner fanden sich nach 1933 auch aus Deutschland emigrierende Akademiker, Musiker und Künstler ein, die in Italien zunächst die gastfreundlichste Aufnahme fanden und das florentiner Klima mit ihrem Können bereicherten. Staude teilte seine Wohnung eine zeitlang mit dem Kunsthistoriker Walter Paatz und dem Historiker Nicolai Rubinstein, der späteren Autorität für die Zeit des Lorenzo il Magnifico.

Ebenso verkehrte er in der Villa Romana, die unter Hans Purrmann dem geistigen Leben der Stadt ihre Türen geöffnet hatte. Es verbanden ihn ähnliche künstlerische Absichten mit den Bildhauern Toni Stadler und Emmy Roeder, die dort als Stipendiaten arbeiteten; besonders aber mit Purrmann selbst, „mit dem ich oft zusammen aufs Motiv gegangen bin und der überhaupt der einzige Maler geblieben ist, mit dem mich eine Art von Identität der Vision verbindet bezüglich dessen, was ‚peinture‘ ist“.
Der Ausbruch des Krieges traf Staude zutiefst. Die Verfeindung und Zerstörung Europas, das er als kulturelle Einheit empfand, kam für ihn der Zerstörung eines der großen Werte der Menschheit gleich. Er litt darunter, Deutscher zu sein, denen anzugehören, die von Nationalismus redeten und brutale Gewalt anwandten, wo er doch an das Gegenteil glaubte, und er versuchte dieser Tendenz entgegenzuwirken (wie es z.B. die Aufsätze seiner florentiner Deutsch-Schüler aus dieser Zeit zeigen, und die Einführung, mit der er sie veröffentlichte, zeigen.

1942 wird er als Dolmetscher bei der deutschen Luftwaffe in Italien eingezogen. Drei Jahre lang malt er nun nicht mehr. 1943, nach dem italienischen Waffenstillstand, muss Renate mit Angela nach Deutschland ziehen. Er selber schließt während des Krieges neue deutsche wie italienische Freundschaften, die ihn durch den zweiten Teil seines Lebens begleiten werden.

Im Frühjahr 1945 gelingt es ihm, sich während des Rückzugs des deutschen Heeres bei Mailand vom Miltär-Lkw zu entfernen, der ihn nach Deutschland zurück transportierte. Er wirft seine Uniform ab, kleidet sich mit Hilfe von Partisanen in zivil und ergibt sich den Amerikanern: Undenkbar wäre es für ihn gewesen, Italien verlassen zu müssen. Nach wenigen Monaten amerikanischer Kriegsgefangenschaft kehrt er bereits im August 1945 nach Florenz zurück. Von dieser dritten Ankunft in der geliebten Stadt – wo er seine Mutter, seine Wohnung und sein Atelier auf wundersame Weise unversehrt wiederfindet – schreibt er an seine Frau, es sei, als werde ihm sein Leben zum zweiten Mal geschenkt.
Seine Malerei nimmt er dort wieder auf, wo er sie unterbrochen hatte. Das geistige Klima des Landes verändert sich in der Nachkriegszeit aber so radikal, dass seine „Laufbahn“, die sich vor dem Kriege so gut angelassen hatte, keinen Aufschwung mehr nimmt. „Die Existenz hat etwas seltsam Provisorisches bekommen“, schreibt er 1948 an Hans Kammeier, einen Musiker-Freund aus seiner Münchner Zeit. „Alle Ordnung und alles Maß scheinen unterminiert. Und die Zukunft naht hinter feindlicher Maske.“

1945-73: Florenz. Malen

Im dritten und letzten Teil von Staudes Leben – beinah dreißig Jahre unablässigen Malens – fügen sich Tradition und Zeitgeist, Vorstellung und Technik zum Bild zusammen.
Seine Malerei macht nach dem Krieg eine dauernde Entwicklung durch. Die Welt, die er darstellt ist die des nach dem Krieg allein gebliebenen Menschen. „Die neue Religion: die der Einsamkeit des Menschen“, von der er schon als ganz junger Mann geschrieben hatte, liegt jetzt auf dem Grunde seiner gesamten Malerei. Sein Leben, das immer auf dieselben Dinge gerichtet bleibt, wird jetzt stiller, „unendlich viel weniger gesellig“, und erlaubt dem Bild mit Kraft hervorzutreten.

Nach außen hin, ist Staude ein Familienvater (sein Sohn Jakob wurde 1944 in Deutschland geboren, Frau und Kinder kehrten Ende 1947 nach Florenz zurück), der sich sein Leben mit Mal- und Kunstgeschichtsunterricht an den amerikanischen Colleges auf dem Hügel von Bellosguardo oder im eigenen Atelier verdient. Er ist ein geborener Lehrer und liebt es, zu lehren. Lehren ist Mitteilung, Lehren ist Übermittlung der Tradition – für ihn, zwei Aufgaben der Kunst. „Das dauernde Zusammensein mit Menschen, die lernen wollen nimmt mir jenes Gefühl der Einsamkeit, das einen Künstler oft befällt“, sagt er in seinem letzten Lebensjahr zur Journalistin Neera Fallaci. Durch den Kunstgeschichtsunterricht steht er in beinahe täglichem Gespräch mit den Malern der Vergangenheit: Er nennt sie „meine Ahnen“ und schöpft aus ihrem Beispiel Bestätigung und Inspiration.

Lorenzo Milani, der spätere, wegen seiner Rebellion gegen die Kirche bekannt gewordene Priester, war mit 19 Jahren einer seiner begabtesten Malschüler gewesen. Als er 1941 beschloss, die Weihen anzunehmen, begründete er diesen Entschluss seinem Mallehrer gegenüber mit den Worten: „Du bist daran schuld. Du hast zu mir von der Notwendigkeit gesprochen, das Wesentliche zu suchen, alle Details zu beseitigen, zu vereinfachen – jedes Sujet als eine Einheit zu sehen, in der ein Teil vom anderen abhängt. Es genügte mir nicht mehr, diese Verhältnisse nur unter Farben zu suchen. So habe ich eine andere Richtung eingeschlagen.“
Seiner eigenen „Richtung“ war sich Staude immer sicherer, wenngleich die gegenstandslose Kunst, die zu seiner Zeit Mode war ihm in keiner Weise Recht zu geben schien. „Die Einsamkeit in die ich mich verbanne, indem ich alle Beziehungen zu denen, die Mode sind, abbreche, erschreckt mich immer weniger“, schrieb er an seine Mutter. Keine der Ausstellungen mit denen er sich beinahe alljährlich dem Publikum vorstellte fand wahre Resonanz, was für ihn, dem die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft der Renaissance vorschwebte, besonders schmerzlich war. Er tröstete sich aber mit dem Gedanken an seine „Ahnen“, an Cézanne, der es sich so sehr gewünscht hatte, wenigstens eines seiner Bilder möge im Pariser ‘Salon‘ Aufnahme finden, und dem dieser Wunsch ebenfalls versagt blieb.
Dabei wurde seine Arbeit von vonschiedenster Seite her geschätzt. Die Galleria d’arte moderna des Palazzo Pitti erwarb im Laufe der Jahre sechs Bilder, die Uffizien ein Selbstbildnis für ihre Galleria degli Autoritratti; europäische und amerikanische Sammler suchten ihn auf und hunderte von Bildern verließen auf diese Weise sein Atelier.
Sein Leben, obgleich nie einfach, blieb reich und vielseitig. Musizieren in der schönen Wohnung in der Via delle Campora (Maja Winteler hatte ihm, als sie 1939 emigrierte, den Flügel hinterlassen, den Einstein ihr geschenkt und auf dem sie viel zusammen mit Staude musiziert hatte), Reisen, Begegnungen und Unterhaltungen mit den einfachsten wie den gebildetsten Menschen seiner Zeit verflochten sich zu jenem schönen „Spinnennetz“, als das er zuletzt sein Leben beschrieb.

Die alljährlichen Sommeraufenthalte in Venedig oder Rom – zwei wesentliche Etappen in seiner Malerei – führten ihn vom „edlen florentinischen Graugrün“ allmählich zu üppigeren Formen und Farben hin.
Um diese Formen und Farben in ihrem Licht und ihrer Leuchtkraft malen zu können, griff Staude 1955 zum Pastell. Mit dieser Technik, in der er es im Laufe der Jahre zu unbestrittener Meisterschaft bringt, schaffte er Werke, die zu seinen besten zählen. Als er aber versuchte, die Lektion des Pastells in Öl zu übertragen, stiess er auf die größten Schwierigkeiten. Sein gefährlicher Nervenzusammenbruch im Jahre 1957, von dem er sich schließlich in einer deutschen Klinik erholte, ist auf diesen Kampf um die Technik zurückzuführen, auf das anhaltende Ausbleiben einer Anerkennung, wie auch auf die abermals enttäuschte Hoffnung, dass die zweijährige, ergiebige Ateliergemeinschaft mit dem jungen Bildhauer Hans Kaunat, einem Schüler Toni Stadlers, zu einer dauernden Arbeitsgemeinschaft führen möge. Dennoch konnte ihn nichts von der unablässigen Bemühung abhalten, auf Leinwand zu übertragen, „was mir seit so langer Zeit vor Augen schwebt“, wie er an seine Schülerin und Freundin Françoise d’Origny Simon nach Paris schrieb.

1956 führt ihn eine Ausstellung zum ersten Mal nach Hamburg zurück, wo sich ihm zu seiner unerwarteten Freude der alt bekannte Freundeskreis wieder auftut. „Ich werde nun versuchen, mit zwei Beinen auf dieser schönen Welt zu stehen: in Florenz und in Hamburg. Was wesentlich ist, und immer bleibt, ist ja so hoch über allen geographischen Entfernungen gelegen, dass dieses möglich sein dürfte“, schreibt er an Christopher Norris.
1962 stirbt seine Mutter und es verschwindet mit ihr das letzte, geliebte Band zur leichtlebigen Welt seiner haitianischen Kindheit.
1963 veranstaltet die Accademia delle Arti e del Disegno in Florenz eine Retrospektive seines Werkes in ihren Sälen. Von Ulrich Middeldorf, dem Direktor des Deutschen Kunsthistorischen Instituts in Florenz und einem entschiedenen Bewunderer Staudes, im Katalog vorgestellt, erweckt sie die Aufmerksamkeit wenn nicht der Kritiker, so doch neuer Käufer und Sammler.
Im selben Jahr beginnt Staude das verwahrloste Stück Land, das sein Atelier in der Via de‘ Serragli 148 umgibt, in einen Garten zu verwandeln. Dieser Garten, mit seinen Bäumen, Büschen und Blumen wird ihm später die Motive zu seinen letzten Bildern liefern. In diesem Garten versammeln sich auch seine letzten Schüler, die besondersten und ihm liebsten: vier, fünf junge Florentiner bescheidener Herkunft, deren „Ergebenheit“ ihn bis an sein Ende begleitet. Einen Augenblick entsteht sogar der Traum, „Der Garten“ möge der Name jener künstlerischen Bewegung werden, von der Staude nie nachgelassen hat zu träumen. Als aber 1966 die Ausstellung in der Galleria III in Florenz, mit der er sich gemeinsam mit seinen Schülern und dem Bildhauer Hans Kaunat dem Publikum vorstellt, ohne Echo bleibt, verfliegt auch dieser Traum.

Seit Beginn seines florentiner Daseins hatte Staude sich seine Modelle unter einfachen Menschen gesucht. Schornsteinfeger, Schuster, Bettler, Bäuerinnen, Schlachtergesellen und Handwerker interessierten ihn – oder besser, „gingen ihn an“ – wegen der großflächigen Monumentalität ihrer mediterranen Köpfe. „Ich versuche diese Figuren ins Atelier zu bekommen, um derentwillen ich eigentlich hier geblieben bin“, schrieb er 1957 an Heinz Theuerjahr, einen befreundeten Bildhauer. Seit Ende der fünfziger Jahre beschäftigen ihn nun dieselben Menschen hauptsächlich in ihren „täglichen Stellungen“. So entstehen die Bilder Der Mann in der Trambahn, Der Radfahrer, Das Mädchen mit dem Regenschirm, Der Mann mit der Zeitung, Der Gärtner, Der Straßenfeger, und viele andere mehr. Auch die im florentiner Stadtpark gemalte Serie Le Cascine (1962-66), im Gras ruhende oder zwischen Bäumen sich bewegende Figuren, entstammt diesem immer geringeren Interesse für das Individuum, diesem immer stärkeren Interesse für Formen und Farben.

In den Sechziger Jahren kommen die Acrylfarben auf den Markt. Damit lösen sich Staudes technische Probleme. „Habe endlich in der neuen Acryl-Tempera ein mir passendes Material gefunden. […] Das Bild hat eine Leuchtkraft und Durchsichtigkeit wie sie mir im Öl nie gelungen war“, schreibt er seinem Vetter Olaf Oloffson.
Im Sommer 1966 fährt Staude zur Erholung nach Castagno d’Andrea, einem kleinen Gebirgsort im toskanischen Apennin. „Gebirgslandschaften – wer hat sie schön gemalt? Ich weiß nur die Ostasiaten“, hatte er 1957 an seine Mutter geschrieben. Nun aber fesselt ihn gerade die Herausforderung „all dieser Grüns“ in der menschenlosen Landschaft so sehr, dass er sich auf das einzige Sujet wirft, das er immer für unmalbar gehalten hatte. „Wie oft noch soll ich mich in einen Ort verlieben? […] Ich fühle mich wie verhext!“ schreibt er an Christopher Norris. Vier Sommer hintereinander kehrt er nach Castagno zurück; sagt, die Landschaft erinnere ihn an die Berge Haitis.

Wenn Staude in Rom und Venedig jedes Mal wieder in denselben, ihm zugetanen Freundeskreis eingetaucht war, so wird er in Castagno zu einer einsamen Gestalt. Morgens verlässt er das gemietete Zimmer und geht mit seiner Staffelei zu seinen Motiven in der Landschaft. Abends wechselt er ein paar Worte mit einem der Sommerfrischler in der einzigen Bar des Ortes. „Meine Tage fügen sich aus (fünf oder sechs) Stunden der Arbeit und Stunden der Müdigkeit zusammen“, schreibt er seiner Tochter. „Ich fege mein Zimmer, mache meine Wäsche und spreche mit dem Busfahrer der um ein Uhr erscheint und mit mir isst.“
Im Herbst 1968 begibt er sich auf eine lange, wunderschöne Reise durch Europa, um eine Reihe von Portraits zu malen. Sie führt ihn auch nach Paris und Hamburg zurück : „Die wertvollste Erinnerung“. Ab 1970 fährt er nicht einmal mehr nach Castagno sondern verbringt auch den Sommer malend in Florenz. Er malt Hippies, die neuen langhaarigen jungen Leute in ihren „unordentlichen Posen“, und den geliebten Garten, dessen Pflanzen inzwischen so üppig wuchern, dass auch von ihm gesagt wird, er wirke ‘tropisch‘, ‘haitianisch‘.

Der Mann, mit dem er sich über all dieses, seine Auffassung der Kunst wie des Lebens unterhält, ist Giorgio Colli, der italienische Philosoph dem wir die kritische Ausgabe der Nietzsche-Werke verdanken – sein letzter Freund.
Seine Malerei macht ihm nun keine Sorgen mehr. Er hat ihre Probleme gelöst: „Ich glaube, ich kann es jetzt“. Die Bilder des letzten Jahrzehnts mit ihrem „angry look“, wie er einmal schreibt, beweisen es. Er hat ihnen einen Schuss Sinnlichkeit hinzugefügt: dieselbe, die bei seiner ersten Begegnung mit dem ernsten Florenz etwas eingeschüchtert worden war.
Ein guter Teil der Arbeit ist jetzt vollbracht und sein empfindsames Gemüt kann sich beruhigen. Es ist wie ein langsames, tägliches Sichvorbereiten auf den Abschluss des Lebens, das Ende. Von sich sagt er (ähnlich wie Cézanne und van Gogh und Marées und so viele andere vor ihm), er habe für die Malerei nicht viel mehr getan, als sie weiterzugeben und ihr einen neuen Weg zu bahnen. „Vielleicht gibt es ein paar Leute, auch unter den Jungen […], die auf meinen Vorschlag eingehen, dass das Schönste in der Malerei das Sehen sei. Und dass das Sehen uns tiefer führt als das Aus-Denken; dass die Erfindung schon dasselbe ist wie das Sehen, die schöpferische Beobachtung; dass Erscheinung und Bedeutung überhaupt zusammenfallen“, schreibt er 1972 an Herbert Schmidt-Colinet. Und an Christopher Norris: „Vielleicht können meine Bilder die Richtung angeben, in der es sich lohnen würde, zu beharren“. Eben dieses hatte er sich als Dreizehnjähriger vorgenommen – „und schließlich ist das Leben das schönste der Gedichte“.
Endlich bot sich 1972 die Gelegenheit, dass seine Bemühungen auch in der Öffentlichkeit Beachtung fänden. Auf die mit Hilfe von Eric Warburg organisierte große Retrospektive in Hamburg bereitete sich Staude, jetzt siebenundsechzigjährig, mit derselben Erwartung vor, mit der er als Neunzehnjähriger seine Reise nach München angetreten hatte. Endlich würde er in die Heimatstadt zurückkehren, aus der er fünfzig Jahre zuvor ausgezogen war, um ihr zu zeigen, dass er sein künstlerisches Versprechen gehalten hatte.
Die Ausstellung verlief auf groteske, tragische Weise. Die Bilder wurden an der italienischen Grenze vom Zoll aufgehalten, die Eröffnung fand vor leeren Wänden statt und Staude fühlte sich „von den giftigen Pfeilen des Vudu getroffen“.
Ein Jahr später starb er in Florenz. „Man muss hinter seinen Bildern verschwinden. Die Arbeit soll hervortreten; nicht wir,“ hatte er zuletzt seiner Tochter geschrieben.

Dieser Aufsatz ist eine erweiterte Fassung der im Katalog „Hans-Joachim Staude“ zur Ausstellung im Palazzo Pitti 1996 erschienenen Biographie.

Zeittafel

1904 Geboren in Port-au-Prince, Haiti, als zweiter Sohn deutscher Eltern.
1909 Die Mutter zieht mit den beiden Söhnen nach Hamburg.
1918 Beginnt zu zeichnen. Sieht die erste große Munch-Ausstellung in Hamburg.
Begeistert sich für den Expressionismus, begegnet Karl Schmidt-Rottluff und den Künstlern der „Brücke“.
1921 Entfernt sich vom Expressionismus und wendet sich der Beobachtung der Natur zu.
1923 Studiert in München Malerei. Dann besucht er für sechs Monate seinen Vater in Haiti.
1924 Hamburg. Lernt bei H. E. Schnegg, Maler des deutschen Spätimpressionismus.
1925 Geht mit Schnegg und seinen Schülern auf eine Studienreise nach Italien. In Florenz verlässt er die Gruppe und bleibt in der Stadt.
1928 Zurück nach Hamburg. Neuer versuch, im Norden zu leben und zu malen.
1928-29 Paris. Studiert Cézanne und die französischen Impressionisten. Begegnet dem Bildhauer Ludwik Kasper, der auf seine Malerei einen entscheidenden Einfluss haben wird.
1929 Lässt sich endgültig in Florenz nieder.
1930-42 Nimmt an dem glanzvollen kulturellen Leben der Stadt teil. Verkehrt in den Kreisen von Maya Winteler und Bernard Berenson.
1935-38 Malt in derAccademia delle Arti e del Disegno als Schüler von Felice Carena.
1938 Heiratet in Hamburg die Architektin Renate Moenckeberg.
1938-42 Die ersten Schüler kommen in sein Atelier. Erfolgreiche Ausstellungen in Florenz, Mailand und Rom bis zu seiner Einberufung zur deutschen Wehrmacht in Italien.
1942-45 Wehrdienst bei der deutschen Luftwaffe in Italien als Dolmetscher.
1945-73 Malt und unterrichtet in Florenz. Im Sommer malt er auch in Venedig und Rom, später im toskanischen Apennin. Er entwickelt eine eigene Pastelltechnik und realisiert nahezu jährlich eine Einzelausstellung in Florenz, Venedig, Rom oder Mailand, sowie in Hamburg (1956, 1972) und in Köln (1957). Europäische und amerikanische Sammler besuchen sein Atelier. Während dieser Jahre erwirbt die Galleria d’arte moderna di Palazzo Pitti fünf seiner Bilder, die Uffizien eine Zeichnung und ein Selbstbildnis.
1963 Die Accademia delle Belle Arti in Florenz widmet Staude eine große Retrospektive
1972 Letzte große Ausstellung in Hamburg.
1973 Stirbt am 23. Juli in Florenz. Wird im Cimitero degli Allori begraben.
1996 Palazzo Pitti in Florenz veranstaltet eine große Retrospektive seines Werkes (mit Katalog) als Dokument des Novecento Italiano, der italienischen Klassischen Moderne.
2001 Persönliche retrospektive in der Spandauer Zitadelle, alla Spandauer Zitadelle, Berlin (mit Katalog).
2015 Ausstellung und wissenschaftliche Tagung bei der Fondazione Giorgio Cini, Venedig.

Einzelausstellungen

1938 Florenz, Galleria Schacky
1940 Florenz, Lyceum
1942 Rom, Galleria di Roma
1942 Mailand, Galleria Duomo
1948 Florenz, Galleria Michelangelo
1951 Florenz, Galleria Vigna Nuova
1955 Florenz, Galleria Spinetti
1955 Rom, Galleria Il Camino
1956 Hamburg, Italienisches Kulturinstitut
1957 Florenz, Galleria Vigna Nuova
1957 Köln, Italienisches Kulturinstitut
1959 Venedig, Galleria Santo Stefano
1960 Padua, Galleria Le Stagioni
1963 Florenz, Accademia delle Belle Arti
1965 Florenz, Saletta Gonnelli
1966 Florenz, Galleria III
1968 Florenz, Saletta Gonnelli
1969 Florenz, Galleria Vaccarino
1971 Florenz, Galleria Il Mirteto
1971 Florenz, Galleria Vaccarino
1972 Hamburg, Italienisches Kulturinstitut
1996 Florenz, Galleria d’Arte Moderna di Palazzo Pitti
2001 Berlin, Spandauer Zitadelle
2001 Hamburg, Handelskammer
2015 Venedig, Fondazione Giorgio Cini